Geschichte
Entstehung
Historischer Frauenstreik 1991 – Gewerkschaften als tragende Kraft
Der feministische Streiktag geht auf den 14. Juni 1991 zurück, als über eine halbe Million Frauen in der ganzen Schweiz die Arbeit niederlegten – aus Protest gegen Diskriminierung, ungleiche Löhne und mangelnde Anerkennung ihrer Arbeit. Unter dem Motto «Wenn Frau will, steht alles still» wurde der erste Frauenstreik vor allem von den Gewerkschaften getragen. Das Datum wurde bewusst gewählt: Genau zehn Jahre zuvor, am 14. Juni 1981, war der Gleichstellungsartikel in die Bundesverfassung aufgenommen worden – ein bedeutender Meilenstein, dem jedoch kaum konkrete Fortschritte folgten. Die grosse Mobilisierung brachte den Unmut der Schweizerinnen über die Verzögerungstaktik des Bundesrates in Gleichstellungsfragen zum Ausdruck und sorgte international für Aufsehen.
Frauen*streik 2019 – Die Entstehung basisdemokratischer Streikkomitees
Die 2010er-Jahre waren geprägt von einer neuen Stärke feministischer Bewegungen weltweit – etwa «Ni una Menos» in Lateinamerika, die Women’s Marches in den USA oder die Repeal-Kampagne in Irland. Auch Streiks sorgten international für Aufsehen: Millionen Frauen beteiligten sich 2018 am spanischen Frauenstreik und legten ihre Arbeit nieder. In Polen verhinderte der «Black Protest» 2016 eine Verschärfung der Abtreibungsgesetze. Und in Deutschland zielte der Frauenstreik am 8. März 2019 darauf ab, die gesamte Republik lahmzulegen.
Inmitten dieses globalen Aufbruchs bereitete sich auch die Schweiz – 27 Jahre nach dem ersten Frauenstreik – auf einen zweiten Streiktag am 14. Juni 2019 vor, diesmal unter dem Motto «Lohn, Zeit, Respekt». Der Begriff «Frauen*streik» mit Stern sollte die Vielfalt und Inklusion aller weiblich gelesenen Geschlechteridentitäten sichtbar machen. Anders als 1991, als die Gewerkschaften die Hauptrolle spielten, trug 2019 eine breite, vielfältige Bewegung den Streik: Frauen aller Generationen – von erfahrenen Aktivist*innen bis hin zu jungen «Frauen*», die sich erstmals politisch engagierten. Von links bis bürgerlich haben sich Frauen aus verschiedenen Parteien solidarisiert. Organisiert wurde der Streik basisdemokratisch in Streikkomitees und thematischen Arbeitsgruppen. In St. Gallen trafen sich dafür am 13. Januar 2019 über 50 Frauen zum ersten lokalen «Frauen*streik-Treffen». Eine neue feministische Bewegung war geboren.
Vom Frauen*streik zum feministischen Streik
Über 40 Jahre später kämpfen wir noch immer gegen die gleichen Missstände. Die Bewegung ist jedoch inklusiver geworden: Aus dem «Frauen*streik» wurde der «feministische Streik» – mit dem Verständnis, dass der Kampf gegen das Patriarchat intersektional geführt werden muss. Denn das patriarchale System ist eng mit Kapitalismus, Rassismus, Ableismus und Queerfeindlichkeit verknüpft. Unser feministisches Engagement basiert auf Miteinander, Solidarität, und der aktiven Ablehnung von «White Feminism» – dabei sind die Anerkennung und der Kampf gegen Mehrfachdiskriminierungen zentral.
Auf Grundlage nationaler Diskussionen hat sich das Kollektiv in St. Gallen 2020 entschieden, den Namen «feministischer Streik St.Gallen» anzunehmen. Diese Entscheidung trafen wir nach intensiven Debatten und einer Kollektivabstimmung bei einer öffentlichen Sitzung. Mit dieser Entscheidung haben wir auch bewusst beschlossen, auf die Bezeichnung «Frauen*» zu verzichten. Einerseits beinhaltet der Stern in diesem Fall die problematische Praxis von Selbst- und Fremdzuschreibungen – etwa indem er Transfrauen ihr Frausein implizit abspricht. Andererseits spiegelt die Formulierung nicht die Inklusivität wider, für die wir in unserem queer-feministischen Aktivismus einstehen.
Sprache spielt eine zentrale Rolle im Kampf gegen Diskriminierung – sie schafft Bewusstsein und Wirklichkeit. Sprache entwickelt sich stetig weiter, und wir lernen mit ihr. Heute schreiben wir Frauen ohne Stern oder verwenden die Begriffe FINTA (Frauen, inter, nicht-binäre, trans und agender Personen) oder FLINTAQ* (Frauen, Lesben, inter, nicht-binäre, trans, agender und queere Personen), um – je nach Kontext – sowohl Geschlechtsidentitäten als auch sexuelle Orientierungen sichtbar zu machen.
14. Juni – Dringender denn je: Aufruf zum feministischen Widerstand!
Weltweit erleben wir heute alarmierende Rückschritte im Bereich Gleichstellung. Konservative und rechte Bewegungen gewinnen an Einfluss und greifen gezielt feministische Errungenschaften an: In Ländern wie den USA, Polen, Ungarn oder dem Iran werden reproduktive Rechte beschnitten, Gender Studies verboten und Frauenorganisationen und feministische Bewegungen kriminalisiert. Gleichzeitig wird feministische Sprache und Sichtbarkeit durch Online-Hasskampagnen, politische Zensur und medialen Diffamierung zunehmend zurückgedrängt.
Auch die Schweiz ist dagegen nicht immun. Sexistische Narrative, steigende Femizide und die systematische Abwertung unbezahlter Care Arbeit. Der antifeministische Backlash ist global – doch der queerfeministische Widerstand ist es auch. FLINTAQ* Personen weltweit vernetzen sich über Grenzen hinaus, organisieren Proteste und machen klar: Wir lassen uns nicht länger unterdrücken!
Faire Löhne – Faire Renten
Die Schweiz zählt zu den reichsten Ländern Europas, doch in Sachen berufliche Gleichstellung liegt sie weit zurück. Laut dem «Glass-Ceiling Index» des Economist (März 2025) gehört die Schweiz zu den Schlusslichtern Europas. Sie belegt den enttäuschenden 26. Rang von 29 OECD-Ländern. Frauen verdienen weniger, leisten den Grossteil der unbezahlten Care-Arbeit und sind in Führungspositionen klar untervertreten.
Diese unbezahlte Arbeit – oft unsichtbar, aber systemrelevant – entspricht laut Bundesamt für Statistik einem Wert von rund 250 Milliarden Franken pro Jahr (Stand 2020). Zum Vergleich: Das ist mehr als ein Drittel des Schweizer Bruttoinlandprodukts.
Die Folgen dieser Ungleichheit zeigen sich auch im Alter: Frauen erhalten rund einen Drittel weniger Rente und sind fast doppelt so häufig von Altersarmut betroffen wie Männer. Es braucht weiterhin den Druck der Zivilgesellschaft, um das zu ändern.
Wir fordern:
- Gleiche Löhne für gleiche Arbeit
- Anerkennung der Care-Arbeit auf dem Arbeitsmarkt und bei Sozialversicherungen
- Flexible Familienzeit und bezahlbare Kita-Plätze, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu fördern und die Gleichstellung zu verbessern
- Stärkung der AHV – Denn sie schafft einen Ausgleich, während die 2. Säule die Ungleichheit noch verstärkt.
Schutz vor Diskriminierung, Gewalt und Sexismus
Gewalt gegen Frauen, intersexuelle, nicht-binäre, trans, agender und genderqueere Personen (FINTAQ*) ist in der Schweiz traurige Realität und Ausdruck tiefverwurzelter Ungleichheit. Im Jahr 2025 wurden bis zum 10. April in der Schweiz bereits 14 Frauen ermordet – weil sie Frauen sind. Das entspricht fast einem Femizid pro Woche. In den vergangenen Jahren wurde im Schnitt alle zwei Wochen eine Frau von ihrem (Ex-)Partner, Bruder oder Sohn getötet. Jede Woche überlebt eine Frau einen Tötungsversuch – mit hoher Dunkelziffer.
Sexualisierte Gewalt ist weit verbreitet – und trifft nicht alle gleich. Jede fünfte Frau in der Schweiz erlebt im Laufe ihres Lebens sexualisierte Gewalt. Vier von fünf Frauen haben schon sexuelle Belästigungen erlebt. Für nicht-binäre, trans, inter oder agender Personen, ebenso wie für Frauen und Queers mit Behinderungen, Flucht- oder Migrationsgeschichte oder als BIPoC, ist das Risiko noch höher. Sie sind mehrfach diskriminiert – durch ein System, das sie nicht ausreichend schützt.
Sexualisierte Gewalt ist ein gesellschaftliches Problem und das Resultat der bestehenden Ungleichbehandlung der Geschlechter. Statt die Betroffenen ernst zu nehmen, schützt unsere Gesellschaft oft die Täter. Noch immer herrscht eine «Rape Culture», die Gewalt verharmlost und den Opfern die Schuld zuschiebt. Die Scham muss endlich die Seite wechseln.
Wir fordern:
- Konsequente Umsetzung der Istanbul-Konvention – für umfassenden Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt
- Effektive Schutzmassnahmen für Betroffene, inklusive besser finanzierter Frauenhäuser mit genügend Plätzen und unabhängige Opferberatungsstellen
- Flächendeckende Präventions- und Bildungsangebote, die patriarchale Gewaltstrukturen hinterfragen und abbauen
- Rechtliche Klarheit und Konsequenz: Femizide als eigenen Straftatbestand anerkennen und sichtbar machen, Einführung des Prinzips «Nur Ja heisst Ja» als gesetzliche Grundlage
- Betroffenenzentrierte Strafverfolgung: traumasensibel, diskriminierungsfrei und mit verpflichtender Aus- und Weiterbildung für Polizei, Justiz- und Fachpersonen
Diese Massnahmen kosten. Darum fordern feministische Organisationen – darunter die verschiedenen feministischen Streikkollektive – in einer im März 2025 eingereichten Petition 350 Millionen Franken vom Bundesrat «für unsere Sicherheit».
Recht auf Selbstbestimmung und Gesundheit
Der Zugang zu medizinischer Versorgung muss frei von Diskriminierung sein. Ein Schwangerschaftsabbruch ist bis zur 12. Woche zwar unter bestimmten Bedingungen straffrei. Grundsätzlich ist in der Schweiz ein Schwangerschaftsabbruch weiterhin eine Straftat, da er im Strafgesetzbuch steht. Eine Abtreibung ist kein Verbrechen, sondern ein Grundrecht auf körperliche und reproduktive Selbstbestimmung.
Zudem basiert die medizinische Forschung und Versorgung noch immer auf der Norm des gesunden, weissen cis-Mannes. Das führt dazu, dass Frauen, FINTA-Personen und Queers in der Gesundheitsversorgung übersehen, falsch behandelt oder diskriminiert werden. Diagnosen erfolgen später, Schmerzen werden weniger ernst genommen, spezifische Bedürfnisse werden ignoriert. Besonders queere Menschen, BIPoC (Black People, Indigenous People and People of Colour) und Menschen mit Behinderungen erleben häufig strukturelle Diskriminierung im Gesundheitswesen.
Wir fordern:
- Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs – raus aus dem Strafgesetzbuch, als Grundrecht in die Verfassung
- Flächendeckende, gut finanzierte Zentren für sexuelle und reproduktive Gesundheit
- Gendergerechte und queersensible Gesundheitsversorgung – in Forschung, Ausbildung und Praxis
- Diskriminierungskritische Weiterbildung für medizinisches Fachpersonal
Forderungen
Was wir fordern?
Aus all diesen Gründen:
Mach mit beim Feministischen Streik!
Melde dich für eine Arbeitsgruppe oder als Helfer*in an. Oder komm einfach am 14. Juni in der Marktgasse St.Gallen vorbei. Bring’ deine Trillerpfeife, dein Transparent oder deine Fahne mit! Und werde mit uns LAUT für mehr GLEICHSTELLUNG!
Unsere GEschichte
Archiv
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Das Archivmaterial des Feministischen Streik St.Gallen ...
befindet sich im Archiv für Frauen-, Geschlechter- und Sozialgeschichte Ostschweiz.